Vergiftet und abhängig

Die verheerenden Folgen von toxischen Beziehungen können ein unfassbares Ausmaß annehmen. In unserem Beitrag »Toxische Beziehungen - Gift für die Seele« haben wir erklärt, was eine toxische Beziehung ist und wie sie entsteht. Die Eigenschaften einer toxischen Person und wie du eine solche erkennen kannst, haben wir dir im Beitrag »Spieglein, Spieglein an der Wand - wer ist Narzisst?« gezeigt. Nun stellen wir die Frage, was Menschen jedoch dazu veranlasst, in solchen Situationen und Beziehungen zu verharren, in denen sie seelisch und körperlich misshandelt werden.

Der Grund ist eine besondere Form von Abhängigkeit. Durch einen Kreislauf aus Missbrauch und Manipulation entsteht eine emotionale Bindung zwischen Opfer und Täter, das sogenannte Trauma-Bonding. Aber Achtung: dies ist nicht zu verwechseln mit dem bekannten Stockholm Syndrom.

Stockholm Syndrom

Das Stockholm Syndrom ist ein psychologischer Bewältigungsmechanismus, der zum ersten Mal nach einem Bankraub in Stockholm in den 1970er Jahren beschrieben wurde. Was hat sich damals zugetragen?

Kreditbanken, eine Bank am Norrmalmstorg, im Zentrum der schwedischen Hauptstadt Stockholm, wurde überfallen. Vier der Angestellten wurden als Geiseln genommen. Es folgten mehr als fünf Tage, in denen die Medien erstmals auch die Angst der Geiseln bei einer Geiselnahme illustrierten. Dabei zeigte sich, dass die Geiseln eine größere Angst vor der Polizei als vor ihren Geiselnehmern entwickelten.

Trotz ihrer Angst empfanden die Geiseln auch nach Beendigung der Geiselnahme keinen Hass auf die Geiselnehmer. Sie waren ihnen sogar dafür dankbar, freigelassen worden zu sein. Zudem baten die Geiseln um Gnade für die Täter und besuchten sie im Gefängnis. Aber es wird sogar noch abstruser: eine der Geiseln führte später eine Beziehung zum Bankräuber, eine andere stellte Geld für seine Verteidigung. Ihr seht, die Geiseln haben am Ende nicht nur mit dem Bankräuber sympathisiert- nein, sie stellten sich sogar gänzlich auf seine Seite!

Trauma Bonding

Ein wichtiges Instrument ist hier die völlige Isolation – im Falle des Bankräubers sehr einfach. Schließlich konnten die Geiseln nirgendwohin fliehen. Aber auch toxische Personen machen es, wie wir wissen, so. Sie isolieren das Opfer von Freunden und Familie, damit diese bald nur noch sie sehen. Nur noch deren Wahrnehmung der Dinge erleben. Und am Ende mit einer völlig verdrehten Weltsicht sich selbst für das missbräuchliche Verhalten die Schuld geben. 

Was diese ungesunde Bindung noch verstärkt, ist die uns altbekannte »Zuckerbrot und Peitsche«-Methode. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sie zu starker seelischer und körperlicher Abhängigkeit führt. Das Opfer wird also ständig destabilisiert, beleidigt und herunter gemacht. Es wird als Person immer wieder abgewertet und dadurch laufend sein Selbstwert zerstört. Dies kann »nur« psychisch geschehen, aber auch bis hin zur körperlichen Gewalt. Es gibt allerdings zwischendurch immer wieder »schöne« Momente, und diese machen das Trauma-Bonding so stark. Durch die lieben und vollkommen willkürlichen Gesten zwischendurch fühlt der Betroffene sich auf einmal geliebt und aufgewertet – und wird süchtig nach diesen Momenten. Es geht um Komplimente, kleine Geschenke, (geheuchelte) Entschuldigungen oder eine wunderschöne Einladung zum Essen, eine zärtliche Umarmung oder auch Sex. All das wird nur dosiert eingesetzt. Das Opfer redet sich ein: wenn es der toxischen Person nur genug Liebe schenkt, würde sie sich eines Tages wirklich ändern. Von außen betrachtet ist das natürlich kompletter Blödsinn. Schließlich machen ein paar nette Gesten den ganzen Missbrauch nicht wett. Aber wenn man dermaßen gefangen und isoliert ist, kann man nicht mehr klar sehen und denken. 

Hierzu haben Wissenschaftler*innen folgendes Experiment durchgeführt: Eine Ratte kam in einen Käfig mit einem Napf mit normalem Futter. Außerdem gab es einen Schalter. Wenn die Ratte auf diesen drückte, bekam sie besonderes Futter zu essen. Das mochte die Ratte natürlich sehr gerne und rückte daher immer wieder auf den Schalter. Mit der Zeit aber kam statt diesem besonderen Futter ein Stromschlag. Die Ratte hatte sich jedoch schon zu sehr daran gewöhnt, diese Leckerli zu bekommen. Also drückte sie den Schalter weiter immer wieder. Obwohl die Ratte mittlerweile mehr Stromstöße als Essen bekam, hörte sie nicht auf, den Schalter zu betätigen. Genau das macht Trauma-Bonding aus: Man drückt immer wieder einen Schalter, obwohl man weiß, dass zu 90 Prozent ein Stromschlag kommt. Aber man tut es trotzdem. Denn es KÖNNTE ja etwas Schönes kommen.

Erinnert euch das an was? Richtig – das ist totales Suchtverhalten.  Ein Spielsüchtiger würde sein Suchtverhalten an Automaten genau so beschreiben. Er weiß, dass er zu 90 Prozent nichts gewinnen wird – aber dennoch drückt er immer wieder den Knopf. Denn er könnte ja den Jackpot knacken. Das macht ihn so abhängig, dass er irgendwann sein ganzes Geld verspielt.

Du siehst, bei Trauma-Bonding geht es darum, das Opfer schwer abhängig zu machen. Nur wird hier kein finanzieller Hauptgewinn angeboten, sondern der Hauptpreis ist Liebe, Geborgenheit und Zuneigung. Also die wichtigsten menschlichen Bedürfnisse, die eigentlich ganz normal sind. Von denen wir in einer gesunden Beziehung mehr als genug bekommen, auch ohne etwas dafür tun zu müssen. Die gibt es aber in einer toxischen Beziehung nur zwischen unzähligen, ungesunden Stromstößen.

Was ist mit der Ratte passiert? Sie ist gestorben. Und genau so stirbt der Überlebenswille in einem Menschen. Irgendwann kann die Psyche diese ganzen Misshandlungen nicht mehr verarbeiten. Denn das Opfer verausgabt sich immer mehr und passt sich komplett den Vorlieben der toxischen Person an. Während diese sogar Spaß dabei empfindet, ihr Opfer immer weiter zu quälen und hin zu halten. Es gefällt ihr zu sehen, wie man sich für sie ins Zeug legt. Sie liebt es zu sehen, wie sie andere Menschen zerstört. Sie hat so viel Macht über ihr Opfer, dass sie bestimmt, wann der Betroffene ein bisschen Zuwendung bekommt. Genau das macht diese Abhängigkeit so stark.

Das gleiche Abhängigkeitsverhalten haben Wissenschafter:innen oft nach Entführungen, bei Kriegsopfern oder körperlich missbrauchten Menschen festgestellt. Diese stellten sich im Gerichtssaal oft noch auf die Seite ihrer Peiniger. Alle Beweise waren nicht Beweis genug. Oft gaben sie auch an, den Peiniger und dessen wahres Ich viel besser zu kennen. Sie blendeten damit komplett die Realität aus. Soweit kann Trauma-Bonding führen.

Hinzu kommt, dass das Opfer unter enormen Schuldgefühlen leidet, auch weil diese von der toxischen Person permanent geschürt werden. Irgendwann ist es der Ansicht, dass es selbst Schuld am Missbrauch sei, und definitiv in einem Teufelskreis gefangen.

Menschen mit Stockholm Syndrom und jene, die durch Trauma-Bonding süchtig gemacht wurden, haben eins gemeinsam. Sie brauchen dringend psychologische Betreuung. Denn in beiden Fällen ist die Wahrnehmung so beeinträchtigt und verdreht, dass die Opfer den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Und alleine kann man den Absprung nicht schaffen.

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